2. Kapitel
Das Steuerkreiskonzept




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2.1
Das Problem


2.2
Das Lösungs-
konzept

2.3
Beispiel:
Dualzahlen-
multiplikation


2.1 Das Problem

Nachdem ich schon viele Jahre als Hochschullehrer das Fach Digitale Systeme unterrichtet hatte, sagte mir einmal ein Fachbereichskollege: "Für was man Sie braucht, habe ich immer noch nicht verstanden, denn Gatter hintereinander hängen und Befehle hintereinander schreiben, das kann doch jeder!" Ich habe ihm damals entgegnet: "Backsteine übereinander legen kann auch jeder, aber aus einer Million Backsteinen eine gothische Backsteinkirche bauen, das kann nicht jeder!"

Was die Programmbefehle in der Software sind, das sind die Gatter in der Hardware. Das Zusammenwirken einiger weniger solcher elementarer Bausteine ist mühelos zu verstehen, aber ein funktionsmächtiges System erfordert nicht nur ein paar, sondern in einfachen Fällen Tausende, meist aber Millionen solcher Bausteine. Solche Systeme können keinesfalls von unten nach oben entworfen werden, indem man mit wenigen Bausteinen beginnt und diese zu überschaubaren Funktionskomplexen zusammenfügt mit dem Ziel, diese Komplexe wieder als Bausteine einer höheren Ebene zu betrachten, mit denen man dann die Aggregate der nächst höheren Ebene entwirft, u.s.w. Stattdessen muss der Entwurf von oben nach unten erfolgen, wobei zuerst das gesamte System als Blackbox betrachtet und seine zweckgebundene Wechselwirkung mit seiner Umgebung spezifiziert wird. Anschließend muss die anfängliche Blackbox auf der nächst tieferen Ebene als ein System wechselwirkender Teilsysteme entworfen werden. Dass es für diesen Schritt keinen Algorithmus geben kann, ist einleuchtend, aber was ich in meinem Studium darüber erfahren hatte, ermangelte jeglicher Methodik und kam mir eher wie eine geniale Bastelei vor. Ich war konfrontiert mit einer Menge recht komplexer Steuerungen, die von den Entwicklern ohne lenkende Modellvorstellung durch das intuitive Verbinden von Schaltnetzen und Speichergliedern entworfen worden waren.

Als ich dann nach dem Abschluss meines Diplomstudiums der Elektrotechnik an der Technischen Hochschule Karlsruhe eine Assistentenstelle am Institut für Nachrichtenverarbeitung bekam, nahm ich an, dass ich dort unter anderem würde lernen können, die Hardware von Computern und anderen digitalen Steuerungen in Form eines methodischen Prozesses zu entwerfen. Denn ich war von Anfang an von der Existenz brauchbarer Regeln überzeugt, die den Entwerfer bei seiner Suche nach einer zweckmäßigen Zerlegung einer spezifizierten Blackbox in Teilsysteme leiten können. Deshalb begann ich gleich zu Beginn meiner Assistentenzeit, nach solchen Regeln zu suchen. Aber weder in unserem Institut noch in der Fachliteratur wurde ich fündig.

Ich hätte allerdings nie gedacht, dass ich heute, also rund fünfzig Jahre später, in der Fachliteratur immer noch keine Hinweise auf solche Regeln finden würde. Denn das bedeutet ja, dass außer mir niemand einen Bedarf an solchen Regeln sieht. Vielleicht ist es tatsächlich so, dass die Verfügbarkeit leistungsfähiger Werkzeuge zur Simulation digitalelektronischer Systeme eine so mächtige Unterstützung der genialen Bastelei darstellt, dass der von mir gesehene Bedarf aktuell von niemandem mehr gesehen werden kann.

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